Rücktritt der Ruderin Jeannine Gmelin nach dem Tod ihres Trainers (2024)

Nicht ohne den «Seelenverwandten»: Die erfolgreichste Schweizer Ruderin der Geschichte gibt das Karriereende bekannt. Mit Jeannine Gmelin geht eine, die beeindruckt hat.

Philipp Bärtsch, Kägiswil

4 min

Rücktritt der Ruderin Jeannine Gmelin nach dem Tod ihres Trainers (1)

«Manche Entscheidungen brechen einem das Herz, doch sie bringen der Seele Frieden.»

Es ist ein Satz aus der schriftlichen Rücktrittserklärung von Jeannine Gmelin, der erfolgreichsten Schweizer Ruderin der Geschichte. Bevor die Mitteilung am Mittwoch verschickt wurde, hatte die 32-jährige Zürcher Oberländerin an einer Medienkonferenz an ihrem Trainings- und Wohnort Kägiswil im Kanton Obwalden bekanntgegeben, dass sie ihre Karriere beende. Knapp anderthalb Monate nach dem plötzlichen Tod ihres Trainers Robin Dowell während eines Trainings auf dem Sarnersee. Und gut anderthalb Jahre vor den Olympischen Spielen in Paris, an denen Gmelin die Laufbahn mit dem Gewinn einer Olympiamedaille zu krönen hoffte.

Die Ruderin Gmelin ohne den Coach Dowell – das war schwer vorstellbar

Zwei Tage nach Dowells Hinschied am 16.Dezember 2022 hatte Gmelin gesagt: «Robin war mein bester Freund, mein Seelenverwandter, eine Inspiration, ein Vorbild.» Schon da stand die Frage im Raum, ob dieser Schicksalsschlag für Gmelin neben all dem andern auch das Karriereende bedeute. Die Ruderin Gmelin ohne den Coach Dowell – das war schwer vorstellbar, für Gmelin selber, für alle, die sie näher kennen. Zumal der Brite, der nur 40 Jahre alt wurde, auch ihr Lebenspartner war – was Gmelin und ihre Managerin Daniela Gisler am Mittwoch auf eine entsprechende Nachfrage öffentlich machten.

Der 16.Dezember 2022 hat alles verändert. Gmelin, Frédérique Rol und Patricia Merz trainierten in ihren Ruderbooten, Dowell begleitete seine drei Athletinnen wie immer auf dem Motorboot, als ihn der Tod ereilte. Dowell war Epileptiker, doch was zum Zusammenbruch und schliesslich zum Ertrinken führte, wird für immer ungeklärt bleiben. Die Angehörigen haben auf eine gerichtsmedizinische Obduktion verzichtet. Dowell starb eines natürlichen Todes. Die erste Hilfe der Athletinnen kam zu spät.

Die berufliche und dann auch private Beziehung zwischen Jeannine Gmelin und Robin Dowell war eine selten enge Verbindung zwischen einer Athletin und einem Trainer – und hätte tragischer nicht zerrissen werden können. «Den Tag, an dem ich Robin erstmals traf, werde ich nie vergessen», sagte Gmelin zwei Tage danach. «Seine Präsenz, seine Aura – ich wusste sofort, dass er ein ganz besonderer Mensch ist.»

Über diesen unermesslichen Verlust versucht Gmelin irgendwie hinwegzukommen. Als Mensch. Aber nicht mehr als Spitzensportlerin. «Viele haben gesagt: ‹Mach weiter, für Robin›», erzählte Gmelin am Mittwoch. «Was ich für Robin weitermache: das, was für mich stimmt. Weil es das Einzige ist, was er gewollt hätte. Ich weiss, dass er hinter mir steht, egal, was ich mache.»

Gmelin sagte, sie habe gleich nach dem Tod des Gefährten das Bauchgefühl empfunden, dass es für sie als Spitzenruderin keine Zukunft gebe. Seither habe sie keine Minute darüber nachgedacht, wie sie sich anders organisieren könnte, damit es als Weltklasseathletin weiterginge, ohne Robin Dowell. Einmal nur habe sie seit dem 16.Dezember im Boot trainiert, «dafür musste ich alles zusammennehmen, was ich überhaupt in mir fand. Und dann fühlte es sich an wie leer, fertig und tot.»

Gmelin befindet sich nicht nur in einem Trauerprozess mit allem Auf und Ab. Sie steht auch vor einem Selbstfindungsprozess, vor der Frage, die sie schon lange beschäftigt: «Was ist überhaupt meine Identität ausserhalb des Sports?» Das will sie nun herausfinden, mit der Zeit. Noch hat sie keine konkreten Vorstellungen und Pläne. Gmelin, die immer so strukturiert vorgeht, muss sich ja nicht nur beruflich umorientieren, sondern ihr Leben neu ordnen.

Am 5.Januar fand in der Kollegikirche St.Martin in Sarnen die Gedenkfeier für Dowell statt, organisiert von Gmelin. Es reisten viele Berufskollegen von Dowell an, es gab solche, die Gmelin ermöglichen wollten, das Training in seiner Heimat Grossbritannien fortzusetzen. Und die Österreicherin Magdalena Lobnig, eine langjährige Konkurrentin, bot Gmelin an, sich ihr anzuschliessen. «Aber um mich persönlich weiterzuentwickeln, muss ich nun den Schritt weg vom Dasein als Athletin gehen.»

Schon vor vier Jahren wäre die Karriere beinahe zu Ende gegangen

Mit Jeannine Gmelin geht eine, die beeindruckt hat mit ihrem Weg, der schon von anderen Schwierigkeiten gepflastert war. Schwierigkeiten, die schwer auf ihr lasteten, seit dem 16.Dezember aber geringfügig wirken. Gmelin ist für eine Ruderin in der offenen Gewichtskategorie kleingewachsen, 1Meter 70, manch eine Widersacherin überragte sie um eine Kopflänge.

Im RC Uster war sie das einzige Mädchen im Verein, und auch als sie ins Nationalteam kam, fehlte es ihr an weiblichen Vorbildern. Gmelin wurde selber eines, und heute besteht das Elitekader etwa zur Hälfte aus Frauen. Dabei hatte ihr der damalige Nationaltrainer vor der Saison 2013 noch beschieden, sie sei nicht gut genug für Einsätze auf internationalem Niveau. 2017 wurde Gmelin Weltmeisterin im Skiff, neben dem Olympiasieg von Xeno Müller 1996 ist das der grösste Einzelerfolg im Schweizer Rudersport.

Anfang 2019 wäre Gmelins Karriere dann beinahe zu Ende gegangen – unrühmlich. Der Schweizerische Ruderverband entliess Robin Dowell, der 2017 als Headcoach in die Schweiz gekommen war und Gmelin seither betreute. Doch statt aufzuhören, spaltete sich Gmelin vom Nationalteam ab, gründete ein Privatteam und engagierte Dowell auf eigene Kosten.

Im Rückblick auf das Zerwürfnis mit dem Verband und auf all die neuen Schwierigkeiten, die der Alleingang mit sich brachte, sagte Gmelin im September 2019: «Ich war ein Scherbenhaufen, ich hatte die Motivation und die Leidenschaft für den Sport verloren.» Die Finanzierung des Privatteams mit einem sechsstelligen Jahresbudget war ein Kraft- und Balanceakt. Der Bruch hatte auch psychisch Spuren hinterlassen, Gmelin sprach im vergangenen Herbst von der «Hölle, durch die ich gegangen bin».

2021 in Tokio war Gmelin Olympiafünfte geworden, wie schon beim Debüt 2016 in Rio de Janeiro. Als sie sich nach den Spielen in Japan entschied, bis Paris 2024 weiterzumachen, gehörte das Bekenntnis von Dowell zu ihren Bedingungen.

Jetzt ist alles anders.

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