SPIEGEL-ONLINE-Interview mit Herta Däubler-Gmelin zur Gen-Medizin: "Gefahr des Missbrauchs nicht vergrößern" (2024)

SPIEGEL-ONLINE-Interview mit Herta Däubler-Gmelin zur Gen-Medizin"Gefahr des Missbrauchs nicht vergrößern"

Sollen Embryonen im Reagenzglas nach ihren Genen aussortiert werden? Dürfen Forscher mit Embryozellen arbeiten? Innerhalb der Bundesregierung ist die neue Gen-Politik noch nicht geklärt. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin bezieht im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE Position.

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SPIEGEL ONLINE:

Frau Däubler-Gmelin, von welchem Moment an genießt ein Embryo den grundgesetzlich garantierten Schutz der Menschenwürde? Bereits mit der Befruchtung, nach 14 Tagen oder erst nach drei Monaten?

Däubler-Gmelin: Die plausibelste und allgemein anerkannte Grenze ist der Zeitpunkt der Befruchtung. Dabei sollte es auch bleiben. Das bei uns geltende Verbot der Klonierung von Embryonen ist auch verfassungsrechtlich begründet. Dem britischen Weg, die Klonierung für Forschungszwecke bis zum Alter von 14 Tagen freizugeben, können wir nicht folgen.

SPIEGEL ONLINE: Kulturminister Julian Nida-Rümelin schreibt, die Menschenwürde setze die Selbstachtung des Individuums voraus, das sei bei Embryonen definitiv nicht gegeben.

Däubler-Gmelin: Verfassungsrechtlich stimmt das nicht. Im Übrigen habe ich gestern von dem Kollegen Nida-Rümelin nochmals erfahren, dass er keineswegs für die 14-Tage-Frist eintritt und das derzeit in einem weiteren Aufsatz darlegt.

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Däubler-Gmelin: Die Problemlagen sind grundsätzlich verschieden: Eingriffe in die Keimbahn sind unzulässig; Klonen verletzt die Würde des Menschen, weil der eben gerade kein Produkt, sondern Geschöpf, also unverwechselbares Individuum ist. Außerdem würde Klonen den Menschen der technischen Verfügbarkeit preisgeben.

Bei Abtreibungen kollidieren Würde und Recht der Schwangeren und des werdenden Menschen. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt in den ersten 12 Wochen, bei Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Schutz-Voraussetzungen wie etwa der Beratung, zugunsten der straflosen Entscheidung der Schwangeren gelöst, für die spätere Zeit durch eine Indikationenregelung. Beides ist nicht vergleichbar.

SPIEGEL ONLINE: Wenn aus Embryozellen irgendwann Nervengewebe oder ganze Organe zur Transplantation gezüchtet werden könnten, wäre das ein epochaler medizinischer Fortschritt. Setzt die britische Entscheidung nicht Maßstäbe, die der deutschen Medizinforschung einen Standortnachteil bescheren?

Däubler-Gmelin: Das ist nicht zwingend. Für Forschungserfolge gibt es ja auch andere Wege, wie möglicherweise den über adulte Stammzellen, die nicht aus Embryonen sondern aus dem Gewebe bereits geborener Menschen gewonnen werden. Deshalb haben auch so bekannte Wissenschaftler wie etwa der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker sich eindeutig für diesen Weg ausgesprochen.

SPIEGEL ONLINE: Immerhin versprechen die britischen Befürworter Therapien für unheilbar Kranke. Bringt uns das nicht doch in Zugzwang?

Däubler-Gmelin: Ich bin sehr für die Hilfe für Kranke. Und wir stehen natürlich in einem weltweiten Austausch der Argumente. Aber die Nutzbarkeit von Forschung für Therapie muss erst durch Fakten belegt werden. Sollte dies ausschließlich über Eingriffe in Embryonen möglich sein - was heute niemand weiß - auch dann müsste vor einer Zulassung geklärt werden, ob das die Gefahr des Missbrauchs für reproduktives Klonen, also die Schaffung einer lebenden Kopie eines Menschen, nicht mehr vergrößern würde als die Chance der Therapie. Im Übrigen müssen wir aufpassen, dass nicht mit falschen Etiketten versucht wird, die Entwicklung zur generellen Verfügbarkeit des Menschen voranzutreiben.

SPIEGEL ONLINE: Nach dem Wechsel an der Spitze des Gesundheitsressorts haben einige Mitglieder der Bundesregierung einen Kurswechsel in der Gentechnik-Politik angekündigt. Was genau wird sich ändern?

Däubler-Gmelin: Solche Aussagen habe ich noch von keinem Regierungsmitglied gehört.

SPIEGEL ONLINE: Die Gesundheits-Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch sagte, "es wird Veränderungen geben", ihr Kollege aus dem Forschungsressort sprach von "Akzentverschiebungen".

Däubler-Gmelin: Also ich sehe nirgendwo den Versuch, das Embryonenschutzgesetz zu ändern - das wäre ein Kurswechsel. Wir müssen aber in breiter Öffentlichkeit über alle Fragen reden, die sich heute wegen der neuen Möglichkeiten stellen.

"Ich kenne niemanden, der das Gesetz ändern will

SPIEGEL ONLINE: Das bisherige Verbot der Präimplantationsdiagnostik, der Selektion von Embryonen im Reagenzglas nach genetischen Kriterien, soll aber aufgeweicht werden. Das haben der Bundeskanzler und die neue Gesundheitsministerin angedeutet.

Däubler-Gmelin: Auch solche Äußerungen kenne ich nicht. Bisher ist dies mit verbrauchenden Eingriffen in Embryonen verbunden - und das stellt einen klaren Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz dar. Wie gesagt, ich kenne niemanden, der dieses Gesetz ändern will.

SPIEGEL ONLINE: Frau Schaich-Walch sagte, sie könne sich bei Gentests für Reagenzglas-Embryos "eine begrenzte Öffnung für bestimmte Erbkrankheiten vorstellen", schließlich dürften auch behinderte Föten abgetrieben werden.

Däubler-Gmelin: Diese Diskussion wird man führen müssen - gerade auch mit der Ärzteschaft. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen allerdings schließen verbrauchende Eingriffe an Embryonen aus. Übrigens sollten wir da aber auch den Aspekt der Selektion ganz offen diskutieren - und alle seine problematischen gesellschaftlichen Folgen. Da geht es dann keineswegs allein um die Verhinderung von Erbkrankheiten. Und bei der Abtreibung geht es immer um eine Kollision von Recht und Würde zweier menschlicher Wesen, die bei der Auswahl im Reagenzglas fehlt.

SPIEGEL ONLINE: Besorgte Eltern werden dann vermutlich vermehrt ins Ausland ausweichen. Solchen Gen-Tourismus in die USA oder nach Belgien gibt es schon heute.

Däubler-Gmelin: Ausweichen kann man in einer zunehmend internationalisierten Welt immer mehr. Richtig ist, dass wir auch deshalb die nötige Diskussion europäisch und international führen müssen. National begrenzte Regelungen greifen heute in immer weniger Bereichen. Aber das ändert nichts daran, dass wir auch hier unseren Standpunkt offensiv vertreten. Im Bereich der Biopatentierung tun wir das auch - übrigens mit Erfolg: Die USA patentieren vieles, was in Europa unzulässig ist, es gibt jedoch Tendenzen in Richtung auf unsere Auffassung.

SPIEGEL ONLINE: Im Kabinett treibt derzeit der Kulturminister die Debatte voran, der Kanzler und die Gesundheitsministerin halten sich alle Optionen offen, und Sie verteidigen den Status quo. Wann fallen Entscheidungen ?

Däubler-Gmelin: Da beschreiben Sie ein Hunderennen, aber nicht die ernsthafte Auseinandersetzung mit den neuen Möglichkeiten; im Übrigen ist es normal, dass die Bundesministerin der Justiz die verfassungsrechtlichen Schranken deutlich betont.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, die Selektion im Reagenzglas bleibt verboten?

Däubler-Gmelin: Das Embryonenschutzgesetz besteht und gilt.

SPIEGEL ONLINE: Steht uns mit dem Streit über die Auswahl von Leben bei Eingriffen ins Erbgut gleichzeitig eine ähnliche Debatte über das künstliche Beenden von Leben bevor, über aktive Sterbehilfe?

Lesen Sie im zweiten Teil des Gesprächs die Vorschläge der Justizministerin zur humanen Sterbebegleitung: "Der Arzt darf nicht entscheiden"

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