Gordon Lightfoot ist tot: Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star (2024)

In seinem Countrylied „Heaven Don’t Deserve Me“, das er 1972 aufnahm und erst 1999 veröffentlichte, zieht Gordon Lightfoot eine vorläufige Bilanz seines Lebens, die allerdings äußerst fragmentarisch ausfällt: Er habe nicht die geringste Ahnung, wofür er hierher geschickt worden sei, aber insgesamt mache ihm die Sache Spaß. Er habe Gutes und Böses erfahren, sich richtig oder falsch verhalten, was die Leute dazu meinten, sei ihm egal. Und falls es später für den Himmel nicht reichen sollte, hätte der ihn sowieso nicht verdient.

Damals war Lightfoot, geboren am 17. November 1938 in einer kleinen Siedlung in Ontario, knapp 34 Jahre alt und eigentlich noch nicht reif für ein Fazit. Seine Endlichkeit hatte er allerdings bereits als Teenager zu spüren bekommen, als er im strengen kanadischen Winter im Eis eingebrochen und nur knapp überlebt hatte. Reich an Umschwüngen war sein Dasein in der Folge auch gewesen: Das Mitglied im Kirchenchor seiner Gemeinde gewann als halbes Kind einen Gesangswettbewerb, nahm eine Platte auf und stand von da an häufiger auf der Bühne. Er lernte das Gitarrenspiel, schrieb erste Lieder, sang in einer Schülerband und gründete, als man ihn rauswarf, eine neue. Er tat sich mit einem Freund zum Duo „The Two-Timers“ zusammen, von dem einige Aufnahmen überlebt haben, und ging als Achtzehnjähriger nach Los Angeles, um Musik zu studieren und den großen Durchbruch zu schaffen.

Gordon Lightfoot ist tot: Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star (1)

Externer Inhalt von Youtube

Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen .

Der ließ zwar noch einige Jahre auf sich warten, aber den Weg dahin hatte Ligthfoot mit der für ihn typischen Mischung aus Fleiß, Adaptionsvermögen und Genius eingeschlagen. Er sog auf, was die Popmusik der Fünfziger- und Sechzigerjahre zu bieten hatte, besonders sein Gesangsstil ist in jenen Jahren noch von einem etwas übertriebenen Vibrato geprägt, was seinem Bariton eine gewisse Bräsigkeit verleiht. Als Songschreiber lieferte er Material unter anderem für Elvis Presley oder Peter, Paul and Mary, und auch damit ist er ein Kind seiner Zeit, wenn auch ein höchst begabtes – auf „For Lovin’ Me“ etwa ließ er sich später nur ungern ansprechen und machte erst dann seinen Frieden mit dem „chauvinistischsten Song, der jemals geschrieben wurde“ (Lightfoot), als ihm einfiel, dass man für die dort gesungenen grausamen Zeilen nicht unbedingt eine männliche Perspektive voraussetzen müsse. Seiner Karriere habe das vielfach gecoverte Lied übrigens nicht geschadet, im Gegenteil.

Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star

Seine frühen Alben – das Debüt „Lightfoot!“ kam 1966 heraus, als er sich in der Folkszene mit vielen Auftritten längst etabliert hatte – enthalten großartiges Material, das im Grunde für einen Sänger und eine exquisit gespielte akustische Gitarre geschrieben worden und auch so aufgenommen worden war. Später erhielten seine Lieder im Studio leider nicht selten einen akustischen Überbau, der ihnen oft nicht gerecht wurde: schwelgerische Streicher als ein Grundübel der Sechziger und Siebziger, und zumindest ein derart hervorragend komponiertes Lied wie Lightfoots „Approaching Lavender“ von der Platte „Sit Down Young Stranger“ ertrinkt in einem solchen Klangbrei. Andere Stücke dagegen profitieren von Produktionen, die noch heute einen Nerv treffen – das dezent mittelalterliche Dekor in „Circle Of Steel“ etwa, das mit Blockflöten, Glöckchen und gediegenem Chorgesang der Schäbigkeit der im Lied beschriebenen Umgebung mit den Ratten, die sich benehmen, als gehöre ihnen das alles, tatsächlich etwas entgegensetzt.

Gordon Lightfoot ist tot: Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star (2)

Lightfoot, der in den Siebzigern aus einem Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star wurde und eine großartige Platte nach der anderen veröffentlichte, schrieb Lieder, die sich gegen Polizeigewalt („Black Day In July“), militaristisches Denken („Sit Down Young Stranger“) und Walfang („Ode To Big Blue“) wandten, und keines von ihnen opfert seine hohen künstlerischen Ansprüche einer Botschaft auf. Einflussreicher waren seine düsteren Liebeslieder wie sein Nummer-Eins-Hit „Sundown“, der bebende Eifersucht mit Resignation verbindet, oder das sehr private, ebenfalls erst Jahrzehnte nach der Aufnahme veröffentlichte Trennungslied „Stone Cold Sober“, von dem Lightfoot später sagte, es bilde exakt seine damalige Situation ab samt der schwachen Wünsche, die ihm noch blieben: „I hope that we can see each other often / That our points of view will blend into each other, / Like the sea and the horizon / And the sun will shine upon us as we live our lives forever / Having thought it over, I sure would like to talk to you again“. Aus der üblichen Bitte, den Kontakt zueinander auch nach der Trennung nicht zu verlieren, auch das offensichtlich kontroverse Gespräch fortzuführen, schimmert doch die nicht aufzuhebende Distanz durch.

Verwitterte Stimme über glasklarer Gitarre

Im Katalog Gordon Lightfoots, der 21 Studioalben umfasst, außerdem Konzertaufnahmen und Kompilationen, ist diese sanft verpackte Trauer kein Einzelfall. Lieder wie „Same Old Obsession“, schmeicheln sich in den Kopf des Hörers und spricht dabei vom Gift, das eine Partnerschaft unweigerlich zersetzt, und gar das bittere „If You Could Read My Mind“, das Lightfoot bei Konzerten auf Bitten seiner Tochter umschreiben musste: Aus der Anklage, es mangele seinem Gegenüber, unschwer als Lightfoots damalige Ehefrau zu erkennen, an Gefühl, wurde nun: „The feelings that we lack“.

Gordon Lightfoot ist tot: Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star (3)

Externer Inhalt von Youtube

Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen .

Lightfoots Stern stieg in den Siebzigern bis hin zum öffentlichen Ritterschlag durch Bob Dylan, privat kämpfte er mit zerbrechenden Partnerschaften und einem riskanten langjährigen Alkoholkonsum. Aus dem schlanken Mann mit dem kantigen Kinn, das Hemd zugeknöpft, die Krawatte gebunden, wurde ein leger gekleideter lockenköpfiger Musiker, der zur Fülle neigte und sich für das Cover von Sundown in einem Heuschober fotografieren ließ. Als er in den späteren Jahren den Alkohol gegen ein rigoroses, bis ins Alter durchgehaltenes Fitnessprogramm eintauschte, hatte seine Stimme bereits unter einer lebensbedrohlichen Krankheit gelitten. Und obwohl er eine Reihe sehr schöner Platten aufnahm, allen voran „A Painter Passing Through“, wurden diese Lieder neben seinen Klassikern kaum noch wahrgenommen. 2020 erschien sein letztes Album „Solo“, der letzte Triumph eines so zärtlichen wie ironischen Songschreibers, die verwitterte Stimme über einer glasklaren Gitarre.

Er mache sich keine Sorge um sein Sterben, hatte Lightfoot 1972 gesungen, falls Gott ihm nur dieselbe Liebe zeigen würde wie seine Frau. Im vergangenen April sagte der bis zuletzt unermüdlich tourende Lightfoot alle Konzerttermine ab, er müsse sich jetzt ganz auf seine Genesung konzentrieren. Am Montag ist er in Toronto gestorben. Er wurde 84 Jahre alt.

Gordon Lightfoot ist tot: Vom Geheimtipp zum vielfach gecoverten Star (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Arline Emard IV

Last Updated:

Views: 5547

Rating: 4.1 / 5 (72 voted)

Reviews: 95% of readers found this page helpful

Author information

Name: Arline Emard IV

Birthday: 1996-07-10

Address: 8912 Hintz Shore, West Louie, AZ 69363-0747

Phone: +13454700762376

Job: Administration Technician

Hobby: Paintball, Horseback riding, Cycling, Running, Macrame, Playing musical instruments, Soapmaking

Introduction: My name is Arline Emard IV, I am a cheerful, gorgeous, colorful, joyous, excited, super, inquisitive person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.